Gedanken am Vorabend der dritten Großen Koalition
Die dritte Große Koalition in der deutschen Geschichte wirft ihre Schatten voraus. Sie wird einigermaßen tun, wozu die meisten Deutschen die sie tragenden Parteien gewählt haben: Kleinere Schönheitsreparaturen vorzunehmen an der Fassade der Wirtschaftswunderlandes und ansonsten alles zu lassen, wie es ist. Der Zukunft des Landes wird es nicht gut tun.
"Die große Stagnation" titelt die englische Wochenzeitung Economist – in deutscher Sprache. Und in der Unterzeile heißt es: „Germany’s proposed new government is set to turn the motor of Europe into a slowcoach.“ Bekanntermaßen kritisiert das britische Magazin mit Sitz im Bankenzentrum Londons, das als eines der einflussreichsten Wirtschaftsmedien der Welt gilt, nicht erst seit gestern die deutsche Krisenpolitik. Regelmäßig tauchen in seinen Leitartikeln die Forderungen nach stärkerem finanziellen Engagement Deutschlands in der Euro-Zone: Schaffung von Euro-Bonds, gemeinsame Haftung von Staatsschulden und Zustimmung zu einer vollständigen Bankenunion.
Diesmal geht es um mehr: Die Analyse lässt kaum eine Schwachstelle der deutschen Innenpolitik aus – bis hin zu den maroden Autobahnbrücken. Man muss nicht die wirtschaftsliberale Meinungsrichtung teilen, um zu sehen, dass der Befund im Ganzen stimmt. Es gibt Grund, sich Sorgen zu machen am Vorabend der dritten Großen Koalition. Die beiden großen konservativen Politikströmungen finden einmal mehr zusammen. Beim ersten Mal half dies immerhin, die Erstarrung der Adenauer-Republik aufzubrechen und der neuen Ostpolitik den Weg zu bereiten. Die zweite Große Koalition unter Merkel tat nicht viel mehr, als die neoliberale Linie der Schröder-SPD weiterzuführen.
Wo ist die Politikwende der SPD?
Die vereinbarte dritte Zusammenarbeit von Union und Sozialdemokratie steht unter einem viel schlechteren Stern. Sie folgt der klaren Grundsatzentscheidung: Alles bleibt im Wesentlichen wie es ist – nur den Ärmsten im Land helfen wir mit den Mindestlohn 8,50 (vielleicht) flächendeckend ab 2018 und einigen Verbesserungen der Rente beim Überleben. Nicht, dass dies zu verachten wäre – nur zukunftsgestaltende Politik ist es nicht. Von einer Union, die kaum noch eigenständige Programmatik hat und im Wahlkampf nur versprach, die Steuern nicht zu erhöhen und den Haushalt zu konsolidieren, hatte niemand Zukunftsideen erwartet. Aber wo ist die Politikwende der SPD?
Klassische Industriepolitik statt Netzpolitik, Kohlekraftwerke statt neuer Energien fördern, nationalistische Wettbewerbspolitik statt europäischer Perspektive, Maut statt entschlossener Umgestaltung des Steuersystems und die Bildung fällt sowieso hinten runter! Von der Union über den Tisch gezogen? Solch oberflächliche Leitartikelbefunde führen weg vom Problem. Die SPD hat sich nicht durchgesetzt, weil sie nicht an neue Wege glaubt und keine Argumente hat. Die Alternativlosigkeit, mit der Merkel ihre Politik begründet, hat sich längst ins Unterbewusstsein der Sozialdemokraten eingefressen. Sie haben längst das nationalistische Dogma von der Wettbewerbsfähigkeit verinnerlicht, wettern gegen die mafiösen Machenschaften der Banken und die Menschenverachtung der Wirtschaftslobby in dem Gefühl, dagegen im Grund eh nicht viel tun zu können. Da kommt die Verweigerungshaltung den anderen konservativen Partei gerade recht, um das Gesicht zu wahren.
Das Problem der SPD ist erstens ein demografisches, und zweitens ein allgemein-menschliches. Das demografische besteht darin, dass die Hälfte der SPD-Mitglieder über 60 Jahre alt ist und die Welt nicht mehr versteht – wie auch die meisten Funktionäre und Mandatsträger, für ihre Wähler gilt vermutlich nicht viel Anderes. Das allgemein menschliche Problem besteht darin, dass es den Deutschen immer noch recht gut geht, auch nachdem die Masse seit vielen Jahren mit sinkendem Wohlstand die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und den Reichtum einer Minderheit subventioniert hat. Sie möchten erstens, dass das so bleibt und zweitens, dass Deutschland weiterhin Wirtschaftsmacht und den meisten anderen Nationen überlegen bleibt. Dann hat noch der Hartz-4-Empfänger immerhin das stolze Gefühl, etwas Besseres zu sein als der Grieche, der Italiener oder gar die Leute vom Balkan. So wurde schon im Kaiserreich Politik gemacht, und es funktioniert auch heute noch – der Doppelpass ändert nichts daran.
Nichtstun ruiniert Chancen
Da unterscheidet sich die SPD nicht allzu sehr von der Union, und Parteien machen nun einmal Politik für ihre Mitglieder und die potenzielle Wählerschaft, die ganz ähnlich denkt und fühlt. Demokratietheoretisch ist das nicht zu beanstanden. Leider führt es dazu, dass Sozialdemokraten sich jetzt daranmachen, gemeinsam mit der Union die Entwicklung Europas zu bremsen, es vielleicht komplett zu ruinieren – die einzige Chance, die wir hätten, bevor uns China, USA, Sowjetunion als Wirtschafts- und Handelsnation plattmachen. Gemeinsam mit der Union kehren sie die Energiewende um, bremsen die Klimapolitik, ebenso die Netzpolitik und gehen weitere Schritte in Richtung Überwachungsstaat.
Politikwende funktioniert offenbar kaum über Aufklärung und rationale Politikgestaltung, sondern als Notoperation im Gefolge der unweigerlich heraufbeschworenen Krisen, falls es dann nicht zu spät ist. Den vielen, die sich aufklärerisch mühen in der SPD, den vielen Kritikern, die sich abarbeiten an der guten alten Tante SPD, von der sie im Grunde ihres Herzens mehr erwarten, muss irgendwann klar werden, dass sie einen halbtoten Gaul wieder zu dem stolzen, starken Ross machen wollen, das es einstmals war. Das wird nicht funktionieren.
Diese Partei hatte nicht per Zufall einen in der Wolle gefärbten Neoliberalen zum Kanzlerkandidaten gemacht. Und Gabriel macht nun weiter, wo Schröder aufgehört hat. Vielleicht sind 150 Jahre Sozialdemokratie wirklich genug. Denn die junge Garde von Sozialdemokraten, die noch radikal denken und eine Wende herbeiführen könnten, ist so schwach, dass es wehtut, sie anzuschauen. Eine neue politische Kraft wird gebraucht.
Ob es so geplant war, ist eine andere Frage. Aber jetzt erkennt die britische Politik die Chance, die im Ausgang der Abstimmung steckt: Was jetzt versucht wird, ist ein Erpressungsmanöver – wenn es klappt, war’s das mit einem Europa, wie es sich viele Menschen erträumen. Was dann allenfalls bleibt ist ein TTIP-Europa.
Samstag, 30. November 2013
Samstag, 23. November 2013
Social-Media-Skepsis bremst Innovation in den Unternehmen
Netzpolitik ist ein Thema, das dem Bürger nichts sagt und den meisten Politikern auch nicht. Niemand fühlt sich berufen, die komplizierte Materie auch nur so zu formulieren, dass sie verständlich wird. Das sollte sich ändern, denn die verbreitete Ignoranz gegenüber Social Media bremst die Entwicklung von Social Business und Industrie 4.0 in den Unternehmen – das könnte sich böse rächen.
„Facebook-Nutzer fühlen sich einsam und frustriert“, titelte Focus. „Nutzer, die häufig im Netzwerk unterwegs und, werden schnell dick und machen mehr Schulden mit ihren Kreditkarten als normale Konsumenten“, so eine Meldung, mit der Forscher einer völlig unbekannten Universität in der amerikanischen Provinz hierzulande zu kurzlebiger Publicity kam. Wie seriös solche Meldungen sind, fragt kaum ein Journalist, passt sie doch vorzüglich in sein eigenes Weltbild. Social Media ist Teufelszeug, das journalistisches Selbstverständnis ankratzt und auch noch die Arbeitsplätze in den Redaktionen bedroht. Menschlich verständlich also, dass der Focus der Medien mit den Stichworten unzureichender Datenschutz, NSA-Spionage, illegale Downloads, Mobbing, Abzocke und Betrügereien im Netz ziemlich abschließend beschrieben ist.
Bei der Kundschaft kommt das gut an, denn mit den immer noch als neu geltenden Kommunikationswegen fremdeln die Deutschen. Bei der Internetnutzung ganz generell landet Deutschland noch auf einigermaßen vorderen Plätzen der fast 200 Staaten dieser Welt, auch wenn selbst einige Länder, die wir als Entwicklungsländer sehen, auf dem einen oder anderen Gebiet vorbeiziehen. Trübselig kann stimmen, was die Leute mit ihrem inzwischen meist vorhandenen Breitbandanschluss machen. Sie kaufen bei Amazon, überweisen online und schreiben E-Mails. 46 Prozent verweigern sich nach eigener Aussage dem sozialen Web. 42 Prozent der Internetnutzer verfassen nach einer Eurostat-Erhebung Mitteilungen in sozialen Netzwerken, beim europäischen Spitzenreiter Portugal liegt der Anteil bei 75 Prozent. Deutschland bildet zusammen mit Tschechien und Frankreich, wo 35 beziehungsweise 40 Prozent der Surfer auf Facebook, Google+, Twitter und Co. aktiv sind, das Schlusslicht bei der Nutzung der sozialen Medien.
Kulturell bedingtes Defizit
Skepsis und Ablehnung ist nicht Schuld der Medien. Die Deutschen eint so etwas wie eine kulturell geprägte kollektive Wahrnehmung, Journalisten unterscheiden sich da kaum von Lehrern, Maschinenbauingenieuren oder Juristen. Wenn Zeitgenossen, die als Intellektuelle gelten, über den Tsunami der Belanglosigkeiten in den Sozialen Netzwerken salbadern, mit dem sie jede Berührung meiden, müssen sie nicht fürchten, sich ob ihrer Ignoranz zu blamieren. Die Unwissenheit reicht bis dorthin, wo angeblich die Zukunft gemacht wird – in die Politik. Man könnte schmunzeln darüber, dass Volksvertreter, die mit netzaffinen Bürgern über entsprechende Wege kommunizieren, immer noch Paradiesvogelstatus haben. Leider ist es aber auch Indiz dafür, dass die politische Klasse die neue technische Revolution nicht richtig erfasst hat.
Die netzpolitische Bilanz der letzten Bundesregierung gilt zu recht als Desaster. In den vier Jahren, in denen SocialMedia-Plattformen wie Facebook und Twitter ihren Durchbruch erlebten, mit Tablets und Smartphones das mobile Internet zum Massenmarkt wurde, das Streaming seinen Platz im digitalen Medienangebot eroberte, Cloud Computing und Big Data zu großen wirtschaftlichen wie politischen Schlagworten wurden – in diesen vier Jahren gelang hierzulande nur die Durchsetzung des „weltweit sinnlosesten Internetgesetzes“ (Sascha Lobo), des Leistungsschutzrechts. Bei der Infrastruktur ist Deutschland weiter zurückgefallen. Andere Länder haben in dieser Zeit z. B. mit Milliardenförderung die Glasfasernetze vorangebracht, in der Erkenntnis, dass die Netzbetreiber das nur schaffen, wenn sie sich auf so schädliche Weise wie durch Aufkündigung der Netzneutralität zusätzliche Einnahmen verschaffen.
Infrastruktur kümmert vor sich hin
Die Politik bewegt sich in Schlagworten und lässt die Infrastruktur vor sich hin kümmern. Bei der Breitbandvernetzung landet Deutschland nach dem Jahresreport der Internationalen Fernmeldeunion gerade noch unter den ersten zehn, beim mobilen Internet aber mit Platz 40 weit abgeschlagen noch hinter Kasachstan. Die sich anbahnende Große Koalition verspricht ein Programm, um die Breitbandvernetzung voranzubringen – die angepeilte Versorgung mit 50 Mbit/s bis 2018 entspricht schon jetzt nicht mehr dem Stand der Dinge und zur Finanzierung gibt es kein Wort. Die einmal angepeilte Summe von einer Milliarde pro Jahr, ohnehin viel zu zaghaft, ist aus den Koalitionsplänen verschwunden.
Wie passt das zu Sätzen wie diesen? „Deutschland muss Vorreiter der Industrie 4.0 sein, denn wir bauen auf eine starke Industrie mit breiter Wertschöpfung“, sagt Christiane Krajewski, vor der Wahl Mitglied im Kompetenzteam von Peer Steinbrück. „Deutschland wird dadurch seine Führungsrolle im produzierenden Gewerbe behaupten und ausbauen“, heißt es in einem gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP vom Juni 2013. Die deutsche Ausrüsterindustrie soll weiter als Leitanbieter für intelligente Produktionstechnologien den Weltmarkt anführen. Als entscheidendes Stichwort dafür gilt in der Politik der Begriff „Industrie 4.0“: Sie gilt als Ausgangspunkt für die Schaffung neuer intelligenter Produkte, die „u.a. durch die Verknüpfung mit wissensintensiven Dienstleistungen mit hohem Mehrwert und hoher Attraktivität für Kunden und Nutzer verbunden sind. Ziel ist es, neue Leitmärkte zu gestalten und zu bedienen“. Das Thema Social Media taucht allenfalls in negativen Zusammenhängen auf, mit Industrie 4.0 bringt man das gar nicht zusammen. Offenbar operieren Menschen, die eigentlich steuern und gestalten sollen, mit nur halbwegs verstandenen, für den Bürger unverständlichen Schlagworten.
Industrie 4.0 rein technisch begriffen
Der Begriff Industrie 4.0 ist Chiffre für die vierte industrielle Revolution, die bereits ihren Lauf nimmt. Eine Reihe technischer Entwicklungen treffen mit heftigen Auswirkungen zusammen: Im sogenannten Internet der Dinge werden reale Produkte oder Produktionsverfahren per Netzwerk verbunden und tauschen eigenständig Daten aus. Dramatisch wird dies dank eines Entwicklungssprungs der Sensorik. Immer mehr und intelligentere „Fühler“ häufen Datenberge auf über den Zustand einer Maschine und ihre Umwelt. Intelligent bedeutet: Die Sensoren übermitteln nicht nur elektronische Signale, sie können miteinander kommunizieren, aus der Fülle der Daten Schlussfolgerungen ziehen und an zentrale Steuereinheiten weiterreichen. Fertigungsmaschinen können so benötigte z. B. Materialien selbstständig aus dem Lager anfordern und ggf. über das Internet beim Zulieferer nachordern.
Dabei fallen so unvorstellbare Datenmengen an, dass sie mit herkömmlichen relationalen Datenbanken und Statistik- und Visualisierungsprogrammen unmöglich zu erfassen, zu speichern und auszuwerten sind. Ein weiteres Stichwort heißt daher „Big Data“: die Analyse der Datentsunamis nach neuartigen mathematischen Verfahren, mit denen sich sich Berechnungen parallelisieren und auf mehrere Rechner verteilen lassen. Nur so können mit atemberaubender Geschwindigkeit Schlussfolgerungen von höchst praktischer Bedeutung generiert werden. Bei zeitkritischen Prozessen wie der Betrugserkennung in Echtzeit oder der Sofortvermarktung über mehrere Kanäle hinweg braucht es die Echtzeitanalyse, um einen nachweisbaren Vorteil für das Unternehmen zu erzielen. Unternehmen auf der ganzen Welt können durch Big Data den Service für ihre Kunden verbessern und die betrieblichen Abläufe optimieren.
Alles dies zusammen führt zu einer neuen Stufe der Organisation und Steuerung der Wertschöpfungskette über den Produktlebenszyklus hinweg - von Konzeption und Design des Produkts über die Fertigung bis hin zu Kundendienst und Rücknahme bzw. Recycling. Den Unternehmen erwachsen ganz neue Möglichkeiten, ihre Tätigkeit zu optimieren – unter Kosten- und Effizienzgesichtspunkt, aber auch im Sinne von mehr Flexibilität. Blitzschnell lassen sich Fertigungen einer schwankenden Nachfrage anpassen, Produkte und Dienstleistungen mühelos auf immer individuellere Kundenwünschen einstellen bis hin zu einer industriellen Einzelanfertigung.
Ohne menschliche Arbeit geht nichts
Ein Thema also, bei dem Wirtschaftslenker und Politiker gerne ins Schwärmen kommen. Leider vergessen viele ein unverzichtbares Element: Wenn Maschinen kommunizieren und vieles eigenständig regeln, wird der Mensch nicht überflüssig. Industrie 4.0 wird nicht die menschenleere Fabrik bringen. Die viel beschworenen Cyber-Physische-Systeme (CPS) verbinden die virtuelle Cyberwelt nicht nur mit Objekten in der real-physischen Welt, sondern in letzter Instanz mit Menschen, ohne deren Richtungsentscheidungen das Zusammenspiel von Maschinen und Anlagen jedenfalls noch nicht vorstellbar ist. Erst diese Verbindung schafft jene dynamischen, echtzeitoptimierten und sich selbst organisierenden Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen.
Produktionsarbeit wird auch in Zukunft von menschlicher Arbeit geprägt sein. Diese kann aber nicht in herkömmlicher Weise über hierarchisch gestaffelte Befehlsketten eingebunden werden - das wäre viel zu langsam und mit viel Reibungsverlust verbunden. Wenn Social-Media-Funktionalitäten durchgängig für kooperative betriebliche Entscheidungen genutzt werden, können – besser gesagt: müssen sich interaktive Führungsmethoden entwickeln, die den Mehrwert mobiler Informations- und Kommunikationstechnik erschließen. Nur so werden die menschlicher Sinneswahrnehmungen ausgeschöpft, die den Informationsfluss technischer Sensoren durch Informationen aus dem Umfeld ergänzen. Und nur auf dieser Grundlage ist das „PatchWork“ als neuer Form hochflexibler, zeitlich, räumlich und inhaltlich verteilter Arbeit denkbar, das Multi-Job-Verhältnisse, eine sinnvolle Nutzung von Leerlaufzeiten und bedarfsgerechte „Arbeitszeit-Patches“ ermöglicht.
Neue Formen von Kommunikation und Kooperation
„Der Einsatz von unternehmenseigener Social Software“, heißt es im BVDW-Leitfaden Enterprise 2.01 dient vor allem der Schaffung dialogischer, transparenter und inklusiver Prozesse, die eine Organisations- und Führungskultur ermöglichen, mit deren Hilfe bisher verborgene Effizienz-, Wissens- und Innovationsressourcen zur Steigerung der Unternehmensperformance nutzbar gemacht werden können.“ Social Business erhöhe die Produktivität und Effizienz der Mitarbeiter und es beschleunige Innovationen, heißt es in einem Untersuchungsbericht des IBM Institute for Business Value. Das bestätigt auch eine Studie von McKinsey, wonach sich durch Social Business Produktivitätsverbesserungen von 3 bis 11 Prozent ergeben.
Software an sich macht Kommunikation und Kooperation nicht besser, die Menschen müssen das mit Hilfe der Software tun. Es geht um eine neue Art des Managements, der Kommunikation und Kollaboration, um ein dynamisches Set an Kommunikationsinstrumenten, die mit dem herkömmlichen Begriff „Medien“ nicht hinreichend beschrieben sind. Menschen, die sich an ihre E-Mail-Kommunikation klammern und gegenüber jeder Form von Web-2.0-Plattformen fremdeln, werden das nicht umsetzen. Das bekamen alle Unternehmen zu spüren, die als Vorreiter Social-Media-Plattformen einführten. Die Blockade beginnt bereits im Management, wo die Angst vor Kontroll- und Machtverlust umgeht. Und die Masse der Mitarbeiter lässt weder gern von alten Gewohnheiten noch sieht sie ein, sich den Risiken einer Dialogkommunikation auszusetzen, der sich die Chefs entziehen.
Die Menschen müssen Veränderung wollen
Enterprise 2.0 entsteht nicht schon dadurch, dass im Unternehmen Web 2.0 Werkzeuge verfügbar sind. Die ist bisher nicht in Sicht. Nicht nur die netzaffinen Führungskräfte der nächsten Generation sind für den Kulturwandel notwendig, sondern auch die Fachkräfte, die nicht mühsam auf den Gebrauch einer unternehmensinternen Social-Media-Plattform gedrillt werden müssen, sondern Lebenserfahrung aus dem eigenen Umgang mit dem Netz bereits mitbringen und den Nutzen sehen. Gewiss kann das die Politik nicht alleine richten, aber gefragt ist sie doch. Politiker, denen beim Thema Internet zwanghaft nur Vorratsdatenspeicherung und Überwachung einfällt, tragen Mitschuld an der negativen Einstellung. Da helfen dann auch Ausbaupläne für das Netz nicht. Auch 100 Gbit/sec am Rechner des letzten Deutschen würden nicht den Durchbruch bringen, solange Politik und Eliten nicht die Akzeptanz für die gesellschaftliche Veränderung vorleben, die mit dem Web 2.0 einher gehen.
Da kann Dieter Kempf, Präsident des Branchenverbands Bitkom, lange predigen. Die Netzpolitik gehöre mit ins Zentrum des nächsten Regierungsprogramms. Nicht zufällig findet sich unter den Forderungen der Wirtschaft neben Sicherheit und Datenschutz, dem Netzausbau und der Förderung von Start-ups auch die Modernisierung des Bildungswesens. Tatsächlich werden es Netzpolitiker nach den Ergebnissen der Bundestagswahl noch schwerer haben, sich igegen andere Interessen durchzusetzen. Die Wähler haben schließlich entschieden, dass ihnen ganz andere Dinge wichtig sind. Ihnen ist kaum vorzuwerfen, dass sie die Netzproblematik nicht sehen, geschweige denn verstehen, den Eliten und der Politik aber sehr wohl. Weit und breit ist ja niemand in Sicht, der den Bürgern die Welt erklärt, die sich in so kurzer Zeit so drastisch verändert hat, dass auch höhere Bildung und gestandenes Erfahrungswissen nicht Schritt halten helfen.
„Facebook-Nutzer fühlen sich einsam und frustriert“, titelte Focus. „Nutzer, die häufig im Netzwerk unterwegs und, werden schnell dick und machen mehr Schulden mit ihren Kreditkarten als normale Konsumenten“, so eine Meldung, mit der Forscher einer völlig unbekannten Universität in der amerikanischen Provinz hierzulande zu kurzlebiger Publicity kam. Wie seriös solche Meldungen sind, fragt kaum ein Journalist, passt sie doch vorzüglich in sein eigenes Weltbild. Social Media ist Teufelszeug, das journalistisches Selbstverständnis ankratzt und auch noch die Arbeitsplätze in den Redaktionen bedroht. Menschlich verständlich also, dass der Focus der Medien mit den Stichworten unzureichender Datenschutz, NSA-Spionage, illegale Downloads, Mobbing, Abzocke und Betrügereien im Netz ziemlich abschließend beschrieben ist.
Bei der Kundschaft kommt das gut an, denn mit den immer noch als neu geltenden Kommunikationswegen fremdeln die Deutschen. Bei der Internetnutzung ganz generell landet Deutschland noch auf einigermaßen vorderen Plätzen der fast 200 Staaten dieser Welt, auch wenn selbst einige Länder, die wir als Entwicklungsländer sehen, auf dem einen oder anderen Gebiet vorbeiziehen. Trübselig kann stimmen, was die Leute mit ihrem inzwischen meist vorhandenen Breitbandanschluss machen. Sie kaufen bei Amazon, überweisen online und schreiben E-Mails. 46 Prozent verweigern sich nach eigener Aussage dem sozialen Web. 42 Prozent der Internetnutzer verfassen nach einer Eurostat-Erhebung Mitteilungen in sozialen Netzwerken, beim europäischen Spitzenreiter Portugal liegt der Anteil bei 75 Prozent. Deutschland bildet zusammen mit Tschechien und Frankreich, wo 35 beziehungsweise 40 Prozent der Surfer auf Facebook, Google+, Twitter und Co. aktiv sind, das Schlusslicht bei der Nutzung der sozialen Medien.
Kulturell bedingtes Defizit
Skepsis und Ablehnung ist nicht Schuld der Medien. Die Deutschen eint so etwas wie eine kulturell geprägte kollektive Wahrnehmung, Journalisten unterscheiden sich da kaum von Lehrern, Maschinenbauingenieuren oder Juristen. Wenn Zeitgenossen, die als Intellektuelle gelten, über den Tsunami der Belanglosigkeiten in den Sozialen Netzwerken salbadern, mit dem sie jede Berührung meiden, müssen sie nicht fürchten, sich ob ihrer Ignoranz zu blamieren. Die Unwissenheit reicht bis dorthin, wo angeblich die Zukunft gemacht wird – in die Politik. Man könnte schmunzeln darüber, dass Volksvertreter, die mit netzaffinen Bürgern über entsprechende Wege kommunizieren, immer noch Paradiesvogelstatus haben. Leider ist es aber auch Indiz dafür, dass die politische Klasse die neue technische Revolution nicht richtig erfasst hat.
Die netzpolitische Bilanz der letzten Bundesregierung gilt zu recht als Desaster. In den vier Jahren, in denen SocialMedia-Plattformen wie Facebook und Twitter ihren Durchbruch erlebten, mit Tablets und Smartphones das mobile Internet zum Massenmarkt wurde, das Streaming seinen Platz im digitalen Medienangebot eroberte, Cloud Computing und Big Data zu großen wirtschaftlichen wie politischen Schlagworten wurden – in diesen vier Jahren gelang hierzulande nur die Durchsetzung des „weltweit sinnlosesten Internetgesetzes“ (Sascha Lobo), des Leistungsschutzrechts. Bei der Infrastruktur ist Deutschland weiter zurückgefallen. Andere Länder haben in dieser Zeit z. B. mit Milliardenförderung die Glasfasernetze vorangebracht, in der Erkenntnis, dass die Netzbetreiber das nur schaffen, wenn sie sich auf so schädliche Weise wie durch Aufkündigung der Netzneutralität zusätzliche Einnahmen verschaffen.
Infrastruktur kümmert vor sich hin
Die Politik bewegt sich in Schlagworten und lässt die Infrastruktur vor sich hin kümmern. Bei der Breitbandvernetzung landet Deutschland nach dem Jahresreport der Internationalen Fernmeldeunion gerade noch unter den ersten zehn, beim mobilen Internet aber mit Platz 40 weit abgeschlagen noch hinter Kasachstan. Die sich anbahnende Große Koalition verspricht ein Programm, um die Breitbandvernetzung voranzubringen – die angepeilte Versorgung mit 50 Mbit/s bis 2018 entspricht schon jetzt nicht mehr dem Stand der Dinge und zur Finanzierung gibt es kein Wort. Die einmal angepeilte Summe von einer Milliarde pro Jahr, ohnehin viel zu zaghaft, ist aus den Koalitionsplänen verschwunden.
Wie passt das zu Sätzen wie diesen? „Deutschland muss Vorreiter der Industrie 4.0 sein, denn wir bauen auf eine starke Industrie mit breiter Wertschöpfung“, sagt Christiane Krajewski, vor der Wahl Mitglied im Kompetenzteam von Peer Steinbrück. „Deutschland wird dadurch seine Führungsrolle im produzierenden Gewerbe behaupten und ausbauen“, heißt es in einem gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP vom Juni 2013. Die deutsche Ausrüsterindustrie soll weiter als Leitanbieter für intelligente Produktionstechnologien den Weltmarkt anführen. Als entscheidendes Stichwort dafür gilt in der Politik der Begriff „Industrie 4.0“: Sie gilt als Ausgangspunkt für die Schaffung neuer intelligenter Produkte, die „u.a. durch die Verknüpfung mit wissensintensiven Dienstleistungen mit hohem Mehrwert und hoher Attraktivität für Kunden und Nutzer verbunden sind. Ziel ist es, neue Leitmärkte zu gestalten und zu bedienen“. Das Thema Social Media taucht allenfalls in negativen Zusammenhängen auf, mit Industrie 4.0 bringt man das gar nicht zusammen. Offenbar operieren Menschen, die eigentlich steuern und gestalten sollen, mit nur halbwegs verstandenen, für den Bürger unverständlichen Schlagworten.
Industrie 4.0 rein technisch begriffen
Der Begriff Industrie 4.0 ist Chiffre für die vierte industrielle Revolution, die bereits ihren Lauf nimmt. Eine Reihe technischer Entwicklungen treffen mit heftigen Auswirkungen zusammen: Im sogenannten Internet der Dinge werden reale Produkte oder Produktionsverfahren per Netzwerk verbunden und tauschen eigenständig Daten aus. Dramatisch wird dies dank eines Entwicklungssprungs der Sensorik. Immer mehr und intelligentere „Fühler“ häufen Datenberge auf über den Zustand einer Maschine und ihre Umwelt. Intelligent bedeutet: Die Sensoren übermitteln nicht nur elektronische Signale, sie können miteinander kommunizieren, aus der Fülle der Daten Schlussfolgerungen ziehen und an zentrale Steuereinheiten weiterreichen. Fertigungsmaschinen können so benötigte z. B. Materialien selbstständig aus dem Lager anfordern und ggf. über das Internet beim Zulieferer nachordern.
Dabei fallen so unvorstellbare Datenmengen an, dass sie mit herkömmlichen relationalen Datenbanken und Statistik- und Visualisierungsprogrammen unmöglich zu erfassen, zu speichern und auszuwerten sind. Ein weiteres Stichwort heißt daher „Big Data“: die Analyse der Datentsunamis nach neuartigen mathematischen Verfahren, mit denen sich sich Berechnungen parallelisieren und auf mehrere Rechner verteilen lassen. Nur so können mit atemberaubender Geschwindigkeit Schlussfolgerungen von höchst praktischer Bedeutung generiert werden. Bei zeitkritischen Prozessen wie der Betrugserkennung in Echtzeit oder der Sofortvermarktung über mehrere Kanäle hinweg braucht es die Echtzeitanalyse, um einen nachweisbaren Vorteil für das Unternehmen zu erzielen. Unternehmen auf der ganzen Welt können durch Big Data den Service für ihre Kunden verbessern und die betrieblichen Abläufe optimieren.
Alles dies zusammen führt zu einer neuen Stufe der Organisation und Steuerung der Wertschöpfungskette über den Produktlebenszyklus hinweg - von Konzeption und Design des Produkts über die Fertigung bis hin zu Kundendienst und Rücknahme bzw. Recycling. Den Unternehmen erwachsen ganz neue Möglichkeiten, ihre Tätigkeit zu optimieren – unter Kosten- und Effizienzgesichtspunkt, aber auch im Sinne von mehr Flexibilität. Blitzschnell lassen sich Fertigungen einer schwankenden Nachfrage anpassen, Produkte und Dienstleistungen mühelos auf immer individuellere Kundenwünschen einstellen bis hin zu einer industriellen Einzelanfertigung.
Ohne menschliche Arbeit geht nichts
Ein Thema also, bei dem Wirtschaftslenker und Politiker gerne ins Schwärmen kommen. Leider vergessen viele ein unverzichtbares Element: Wenn Maschinen kommunizieren und vieles eigenständig regeln, wird der Mensch nicht überflüssig. Industrie 4.0 wird nicht die menschenleere Fabrik bringen. Die viel beschworenen Cyber-Physische-Systeme (CPS) verbinden die virtuelle Cyberwelt nicht nur mit Objekten in der real-physischen Welt, sondern in letzter Instanz mit Menschen, ohne deren Richtungsentscheidungen das Zusammenspiel von Maschinen und Anlagen jedenfalls noch nicht vorstellbar ist. Erst diese Verbindung schafft jene dynamischen, echtzeitoptimierten und sich selbst organisierenden Wertschöpfungsnetzwerke, die sich nach Kosten, Verfügbarkeit und Ressourcenverbrauch optimieren lassen.
Produktionsarbeit wird auch in Zukunft von menschlicher Arbeit geprägt sein. Diese kann aber nicht in herkömmlicher Weise über hierarchisch gestaffelte Befehlsketten eingebunden werden - das wäre viel zu langsam und mit viel Reibungsverlust verbunden. Wenn Social-Media-Funktionalitäten durchgängig für kooperative betriebliche Entscheidungen genutzt werden, können – besser gesagt: müssen sich interaktive Führungsmethoden entwickeln, die den Mehrwert mobiler Informations- und Kommunikationstechnik erschließen. Nur so werden die menschlicher Sinneswahrnehmungen ausgeschöpft, die den Informationsfluss technischer Sensoren durch Informationen aus dem Umfeld ergänzen. Und nur auf dieser Grundlage ist das „PatchWork“ als neuer Form hochflexibler, zeitlich, räumlich und inhaltlich verteilter Arbeit denkbar, das Multi-Job-Verhältnisse, eine sinnvolle Nutzung von Leerlaufzeiten und bedarfsgerechte „Arbeitszeit-Patches“ ermöglicht.
Neue Formen von Kommunikation und Kooperation
„Der Einsatz von unternehmenseigener Social Software“, heißt es im BVDW-Leitfaden Enterprise 2.01 dient vor allem der Schaffung dialogischer, transparenter und inklusiver Prozesse, die eine Organisations- und Führungskultur ermöglichen, mit deren Hilfe bisher verborgene Effizienz-, Wissens- und Innovationsressourcen zur Steigerung der Unternehmensperformance nutzbar gemacht werden können.“ Social Business erhöhe die Produktivität und Effizienz der Mitarbeiter und es beschleunige Innovationen, heißt es in einem Untersuchungsbericht des IBM Institute for Business Value. Das bestätigt auch eine Studie von McKinsey, wonach sich durch Social Business Produktivitätsverbesserungen von 3 bis 11 Prozent ergeben.
Software an sich macht Kommunikation und Kooperation nicht besser, die Menschen müssen das mit Hilfe der Software tun. Es geht um eine neue Art des Managements, der Kommunikation und Kollaboration, um ein dynamisches Set an Kommunikationsinstrumenten, die mit dem herkömmlichen Begriff „Medien“ nicht hinreichend beschrieben sind. Menschen, die sich an ihre E-Mail-Kommunikation klammern und gegenüber jeder Form von Web-2.0-Plattformen fremdeln, werden das nicht umsetzen. Das bekamen alle Unternehmen zu spüren, die als Vorreiter Social-Media-Plattformen einführten. Die Blockade beginnt bereits im Management, wo die Angst vor Kontroll- und Machtverlust umgeht. Und die Masse der Mitarbeiter lässt weder gern von alten Gewohnheiten noch sieht sie ein, sich den Risiken einer Dialogkommunikation auszusetzen, der sich die Chefs entziehen.
Die Menschen müssen Veränderung wollen
Enterprise 2.0 entsteht nicht schon dadurch, dass im Unternehmen Web 2.0 Werkzeuge verfügbar sind. Die ist bisher nicht in Sicht. Nicht nur die netzaffinen Führungskräfte der nächsten Generation sind für den Kulturwandel notwendig, sondern auch die Fachkräfte, die nicht mühsam auf den Gebrauch einer unternehmensinternen Social-Media-Plattform gedrillt werden müssen, sondern Lebenserfahrung aus dem eigenen Umgang mit dem Netz bereits mitbringen und den Nutzen sehen. Gewiss kann das die Politik nicht alleine richten, aber gefragt ist sie doch. Politiker, denen beim Thema Internet zwanghaft nur Vorratsdatenspeicherung und Überwachung einfällt, tragen Mitschuld an der negativen Einstellung. Da helfen dann auch Ausbaupläne für das Netz nicht. Auch 100 Gbit/sec am Rechner des letzten Deutschen würden nicht den Durchbruch bringen, solange Politik und Eliten nicht die Akzeptanz für die gesellschaftliche Veränderung vorleben, die mit dem Web 2.0 einher gehen.
Da kann Dieter Kempf, Präsident des Branchenverbands Bitkom, lange predigen. Die Netzpolitik gehöre mit ins Zentrum des nächsten Regierungsprogramms. Nicht zufällig findet sich unter den Forderungen der Wirtschaft neben Sicherheit und Datenschutz, dem Netzausbau und der Förderung von Start-ups auch die Modernisierung des Bildungswesens. Tatsächlich werden es Netzpolitiker nach den Ergebnissen der Bundestagswahl noch schwerer haben, sich igegen andere Interessen durchzusetzen. Die Wähler haben schließlich entschieden, dass ihnen ganz andere Dinge wichtig sind. Ihnen ist kaum vorzuwerfen, dass sie die Netzproblematik nicht sehen, geschweige denn verstehen, den Eliten und der Politik aber sehr wohl. Weit und breit ist ja niemand in Sicht, der den Bürgern die Welt erklärt, die sich in so kurzer Zeit so drastisch verändert hat, dass auch höhere Bildung und gestandenes Erfahrungswissen nicht Schritt halten helfen.
Freitag, 22. November 2013
Ein
Nachruf auf die Tageszeitung,
wie wir sie liebten
Journalismus
stand wirtschaftlich noch nie auf eigenen Füßen. Er ist eben nicht
nur ein Phänomen der bürgerlichen Emanzipation, die in liberalen
und demokratischen Verhältnissen mündete. Untrennbar damit
verbunden ist die andere Seite der Medaille: das Geschäftsmodell
Tageszeitung. Und das verdankt sich der Entwicklung lokaler,
regionaler und nationaler Massenmärkte, in denen die werblichen
Zugänge der Produzenten zu ihren Kunden ein knappes und damit teures
Gut waren. Selbst bester Journalismus kann das nicht ins
Internet-Zeitalter herüber retten. Wenn hochwertiger Journalismus
für unsere Gesellschaft und wichtig bleibt, muss diese für eine
Finanzierungsgrundlage sorgen. Der Markt wird es nicht tun.
Es
muss auf einem Zeitungskongress in der ersten Hälfte des vergangenen
Jahrzehnts gewesen sein. Ich sehe den Kollegen noch vor mir –
seinen Namen habe ich vergessen. „Die Zeitung wird es immer geben,
weil man mit einem Computer auf der Terrasse keine Wespe totschlagen
kann.“ Der Beifall durfte tosend genannt werden. Kein Mensch wollte
sich ernsthaft auf den Gedanken einlassen, vom Internet könnten
Gefahren für die blühende Printmedienlandschaft ausgehen.
Jenseits
der Illusionen
Viele
Zeitungskongresse später liegt das Kind im Brunnen. Nach den ersten
spektakulären Zeitungspleiten sind die Angehörigen der Branche um
manche Illusion ärmer, was aber nicht reicher an nüchterner
Einschätzung der Realität. Verstanden haben die meisten, dass mit
dem Rennen um die exklusive Nachricht kein Blumentopf mehr zu
gewinnen ist – nicht einmal im Lokalen. „Vielleicht ist die
Zeitungskrise eher als Nachrichtenkrise zu sehen, die offline wie
online wirkt: das Ende statischer Berichterstattung“, treibt Sascha
Lobo den Gedanken auf die Spitze. Und es ist ja, auch wenn es als
Analyse nicht reicht, durchaus etwas dran: Wenn Barak Obama selber
twittert, er habe die Wahl gewonnen hat, sieht jedes
Nachrichtenmedium alt aus. Nachrichten als Prozess statt Nachrichten
vom Vortag – auch das will finanziert sein.
Um
zu wissen, wohin die Reise geht, ist es hilfreich, einen Blick zurück
zu werfen. Wo kommen die Tageszeitungen her? Bezeichnend für unser
der geschichtsblindes Zeitalter, dass niemand diese Frage stellt. Wo
es jetzt wieder hinzugehen scheint, hat einmal alles angefangen: Im
Zeitalter der Aufklärung bis weit in 19. Jahrhundert hinein war
Journalismus der brotlose Nebenerwerb von Amateuren. Die hätten
gerne auch ihr Auskommen damit gehabt, aber weil es Geld nur wenig
gab, nahmen sie gerne auch literarisches Renommé, politischen
Einfluss und öffentliche Aufmerksamkeit. Das Interesse an der
periodischen Presse war zunächst eine Sache des gehobenen
Bürgertums, der gebildeten Stände – zu denen sich später
allmählich aus die Elite des vierten Standes gesellten.
Presseprodukte
im Abonnement waren teuer. Und so gab es Ende des 18. Jahrhunderts in
den größeren Städten Lesegesellschaften, wohin sich interessierte
Bildungsbürger begaben, um sich über die Zeitläufte auf dem
Laufenden zu halten. Die Mainzer Lesegesellschaft bezog um 1790
stolze 24 politische Zeitungen, 23 gelehrte Blätter und 41 sonstige
Periodika.
Die
kommerzell-publizistische Mixtur Tageszeitung
Zum
Massenmedium wurde die Zeitung, als der Staat die Idee aufgab, die
Nachfrage von Industrie und Handel nach Werbemöglichkeiten per
Anzeigenmonopol für die häufig staatlichen lokalen Anzeigeblätter
(„Intelligenzblätter“) in seine Kassen zu lenken. An deren
Stelle treten die Generalanzeiger-Zeitungen, allen voran der
1845 in Leipzig erschienene „General-Anzeiger für Deutschland“,
die Anzeigenerlöse wurden zur Haupteinnahmequelle. Weil gerade auch
Papierpreise und Druckkosten sanken, wurden die Blätter oft
kostenlos oder gegen ein kleines Zustellgeld abgegeben. Denn je
größer Verbreitung und Reichweite, desto zahlreicher wurden die
Inserenten. Genau deshalb präsentierte man sich auch als
überparteilich und politisch neutral, als „Lokalanzeiger“ mit
ausführlicher örtlicher Berichterstattung, lokalen Anzeigen und
immer mehr unterhaltenden Elemente wie Fortsetzungsroman und
Erzählungen.
Die
übrigen Presse aber lernte schnell. Auch die Verbands- und
Parteizeitungen, die politischen Kampfblätter kamen in den Genuss
des rasch wachsenden Werbemarktes. Bald verzichtete kaum ein
Periodikum noch auf die Einnahmequelle
Anzeigen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland schon rund
3500 Zeitungen.
Einen weiteren Schub brachte Anfang des 20. Jahrhunderts der Erfolg
der neuen Boulevardpresse. Die elektronischen Medien Radio und später
das Fernsehen beeinträchtigten die Reichweiten der Printmedien nicht
– brachten sie doch nur knapp bemessene und darum teure Werberäume
und kaum publizistische Konkurrenz.
Wie
viel Anteil hat der professionelle Journalismus am Erfolg der
Tageszeitungen? Schwer zu sagen, realistisch gesehen dürfte der
Beitrag begrenzt gewesen sein. Journalismus war bald mehr, bald
weniger wichtiger Teil der Mischung, die das Modell Tageszeitung
ausmachte. Die Leser haben nie die Gestehungskosten für
journalistische Inhalte gezahlt. Wofür sie einige Groschen
hinzulegen geneigt waren, war die informativ-unterhaltsame Mixtur aus
Anzeigen, Nachrichten aus der großen weiten Welt, Lokalberichten,
bunten Lesegeschichten, behördlichen Mitteilungen und und und. Und
der Nutzwert des Papiers zum Einwickeln, Fensterputzen und
Ofenanzünden kam noch obendrauf.
Rezepte
gibt es nicht
Deshalb
ist einleuchtend, dass der Journalismus, ob als Qualitäts- oder als
Entertainmentjournalismus, das Geschäftsmodell Tageszeitung nicht
retten kann, wenn die restlichen Anteile der Mischung wegfallen oder
an Attraktivität verlieren. Die Idee, dass eine ausreichende Zahl
von Menschen überzeugt werden könnte, für die Oberheadkosten von
Qualitätsjournalismus zu zahlen, ist recht weltfremd. Die wenigsten
Leser sind in der Lage, sorgfältige journalistische Arbeit von gutem
PR-Handwerk zu unterscheiden. Information und Unterhaltung sind kein
knappes Gut mehr, sondern ein Tsunami, der die Aufnahmekapazität der
meisten Menschen hoffnungslos überfordert.
Und
deshalb sind die menschlich verständlichen Forderungen der um ihre
Zukunftshoffnungen betrogenen Journalisten und ihrer
Verbandsvertreter fernab jeder Wirklichkeit. Sie verlangen von den
Verlegern, zu investieren und unternehmerisch kreativ zu sein, um
„die Zeitung“ als Synonym für qualitativ hochwertigen
Journalismus zu retten – ob in gedruckt der digitaler Form. Die
Verleger haben keine Rezepte, heißt es anklagend. Richtig, nur die
Journalisten auch nicht. Weil es sie nicht gibt. Weil ein ähnlich
zugkräftiger Content-Mix, wie es neudeutsch heißt, online nicht zu
reproduzieren und deshalb im Netz ein Zubrot, aber kein voller Ersatz
für das Anzeigeneinkommen besserer Printzeiten zu erzielen ist.
Schon deshalb, weil das Online-Werbeaufkommen sich auf eine ständig
wachsende Zahl von Internetkanälen aufteilt.
Die
Zukunft des Journalismus
Was
wird also aus der Tageszeitung als Gattung? Es wird sie wohl,
finanziert über steigende Copy- und App-Preise als Luxusmedium für
die Älteren, die Gebildeten und die Wohlhabenden noch eine Weile
geben. Die Frage ist, wie lang noch vom Massenmedium Zeitung
gesprochen werden kann. Am längsten wohl noch bei dem einen oder
anderen überregionalen Blatt. Nicht mehr allzu lange im Lokalen,
obwohl sich dort eine ganze Reihe von Redaktionen mit
bewundertswerter Kreativität und großer Entschlossenheit gegen die
Entwicklung stemmen. Die Overheadkosten und Profiansprüche ihrer
Unternehmen lassen ihnen kaum eine Chance. Es sieht danach aus, dass
der generelle Trend in Richtung billig produzierter, PR-dominierten
Lokalmedien geht, in denen für teure Journalismus kaum mehr Platz
ist. Die andere Seite dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass
Freiräume für neue Online-Lokalmedien entstehen – und für
Journalisten, die Leidenschaft und nicht Gewinnstreben in diesen
Beruf treibt.
Das
wird aber für eine moderne Massengesellschaft nicht reichen. Wie ist
unter diesen Bedingungen massenwirksamer hochwertiger Journalismus in
der Breite noch möglich? Diese Frage lässt sich vielleicht in
einigen Jahren ernsthaft diskutieren – dann wenn die letzten
Selbsttäuschungen und Illusion in der Branche dahin sind, die
Verleger aufgehört haben, ihr Privateigentum an Medien zur
Voraussetzung von Demokratie und Freiheit zu erklären und die
Politik wirklich begriffen hat, dass sie ohne das aufklärerische
Potential eines professionellen, freiheitlichen Grundwerten
verpflichteten Journalismus den letzten Rest an Glaubwürdigkeit
verliert.
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