Samstag, 30. November 2013

Lasst gut sein, Genossen ...

Gedanken am Vorabend der dritten Großen Koalition

Die dritte Große Koalition in der deutschen Geschichte wirft ihre Schatten voraus. Sie wird einigermaßen tun, wozu die meisten Deutschen die sie tragenden Parteien gewählt haben: Kleinere Schönheitsreparaturen vorzunehmen an der Fassade der Wirtschaftswunderlandes und ansonsten alles zu lassen, wie es ist. Der Zukunft des Landes wird es nicht gut tun.

"Die große Stagnation" titelt die englische Wochenzeitung Economist – in deutscher Sprache. Und in der Unterzeile heißt es: „Germany’s proposed new government is set to turn the motor of Europe into a slowcoach.“ Bekanntermaßen kritisiert das britische Magazin mit Sitz im Bankenzentrum Londons, das als eines der einflussreichsten Wirtschaftsmedien der Welt gilt, nicht erst seit gestern die deutsche Krisenpolitik. Regelmäßig tauchen in seinen Leitartikeln die Forderungen nach stärkerem finanziellen Engagement Deutschlands in der Euro-Zone: Schaffung von Euro-Bonds, gemeinsame Haftung von Staatsschulden und Zustimmung zu einer vollständigen Bankenunion.

Diesmal geht es um mehr: Die Analyse lässt kaum eine Schwachstelle der deutschen Innenpolitik aus – bis hin zu den maroden Autobahnbrücken. Man muss nicht die wirtschaftsliberale Meinungsrichtung teilen, um zu sehen, dass der Befund im Ganzen stimmt. Es gibt Grund, sich Sorgen zu machen am Vorabend der dritten Großen Koalition. Die beiden großen konservativen Politikströmungen finden einmal mehr zusammen. Beim ersten Mal half dies immerhin, die Erstarrung der Adenauer-Republik aufzubrechen und der neuen Ostpolitik den Weg zu bereiten. Die zweite Große Koalition unter Merkel tat nicht viel mehr, als die neoliberale Linie der Schröder-SPD weiterzuführen.

Wo ist die Politikwende der SPD?

Die vereinbarte dritte Zusammenarbeit von Union und Sozialdemokratie steht unter einem viel schlechteren Stern. Sie folgt der klaren Grundsatzentscheidung: Alles bleibt im Wesentlichen wie es ist – nur den Ärmsten im Land helfen wir mit den Mindestlohn 8,50 (vielleicht) flächendeckend ab 2018 und einigen Verbesserungen der Rente beim Überleben. Nicht, dass dies zu verachten wäre – nur zukunftsgestaltende Politik ist es nicht. Von einer Union, die kaum noch eigenständige Programmatik hat und im Wahlkampf nur versprach, die Steuern nicht zu erhöhen und den Haushalt zu konsolidieren, hatte niemand Zukunftsideen erwartet. Aber wo ist die Politikwende der SPD?

Klassische Industriepolitik statt Netzpolitik, Kohlekraftwerke statt neuer Energien fördern, nationalistische Wettbewerbspolitik statt europäischer Perspektive, Maut statt entschlossener Umgestaltung des Steuersystems und die Bildung fällt sowieso hinten runter! Von der Union über den Tisch gezogen? Solch oberflächliche Leitartikelbefunde führen weg vom Problem. Die SPD hat sich nicht durchgesetzt, weil sie nicht an neue Wege glaubt und keine Argumente hat. Die Alternativlosigkeit, mit der Merkel ihre Politik begründet, hat sich längst ins Unterbewusstsein der Sozialdemokraten eingefressen. Sie haben längst das nationalistische Dogma von der Wettbewerbsfähigkeit verinnerlicht, wettern gegen die mafiösen Machenschaften der Banken und die Menschenverachtung der Wirtschaftslobby in dem Gefühl, dagegen im Grund eh nicht viel tun zu können. Da kommt die Verweigerungshaltung den anderen konservativen Partei gerade recht, um das Gesicht zu wahren.

Das Problem der SPD ist erstens ein demografisches, und zweitens ein allgemein-menschliches. Das demografische besteht darin, dass die Hälfte der SPD-Mitglieder über 60 Jahre alt ist und die Welt nicht mehr versteht – wie auch die meisten Funktionäre und Mandatsträger, für ihre Wähler gilt vermutlich nicht viel Anderes. Das allgemein menschliche Problem besteht darin, dass es den Deutschen immer noch recht gut geht, auch nachdem die Masse seit vielen Jahren mit sinkendem Wohlstand die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und den Reichtum einer Minderheit subventioniert hat. Sie möchten erstens, dass das so bleibt und zweitens, dass Deutschland weiterhin Wirtschaftsmacht und den meisten anderen Nationen überlegen bleibt. Dann hat noch der Hartz-4-Empfänger immerhin das stolze Gefühl, etwas Besseres zu sein als der Grieche, der Italiener oder gar die Leute vom Balkan. So wurde schon im Kaiserreich Politik gemacht, und es funktioniert auch heute noch – der Doppelpass ändert nichts daran.

Nichtstun ruiniert Chancen

Da unterscheidet sich die SPD nicht allzu sehr von der Union, und Parteien machen nun einmal Politik für ihre Mitglieder und die potenzielle Wählerschaft, die ganz ähnlich denkt und fühlt. Demokratietheoretisch ist das nicht zu beanstanden. Leider führt es dazu, dass Sozialdemokraten sich jetzt daranmachen, gemeinsam mit der Union die Entwicklung Europas zu bremsen, es vielleicht komplett zu ruinieren – die einzige Chance, die wir hätten, bevor uns China, USA, Sowjetunion als Wirtschafts- und Handelsnation plattmachen. Gemeinsam mit der Union kehren sie die Energiewende um, bremsen die Klimapolitik, ebenso die Netzpolitik und gehen weitere Schritte in Richtung Überwachungsstaat.

Politikwende funktioniert offenbar kaum über Aufklärung und rationale Politikgestaltung, sondern als Notoperation im Gefolge der unweigerlich heraufbeschworenen Krisen, falls es dann nicht zu spät ist. Den vielen, die sich aufklärerisch mühen in der SPD, den vielen Kritikern, die sich abarbeiten an der guten alten Tante SPD, von der sie im Grunde ihres Herzens mehr erwarten, muss irgendwann klar werden, dass sie einen halbtoten Gaul wieder zu dem stolzen, starken Ross machen wollen, das es einstmals war. Das wird nicht funktionieren.

Diese Partei hatte nicht per Zufall einen in der Wolle gefärbten Neoliberalen zum Kanzlerkandidaten gemacht. Und Gabriel macht nun weiter, wo Schröder aufgehört hat. Vielleicht sind 150 Jahre Sozialdemokratie wirklich genug. Denn die junge Garde von Sozialdemokraten, die noch radikal denken und eine Wende herbeiführen könnten, ist so schwach, dass es wehtut, sie anzuschauen. Eine neue politische Kraft wird gebraucht.

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