Dienstag, 31. März 2015

Kommunikation - die Achillesferse der Unternehmen

Kurzfassung meines Vortrags beim RWK Hessen am 25. März 2015

Die Medienwelt verändert sich und die Menschen mit ihr. Darum zerbrechen sich die Kom­munikationsverantwortlichen in den Unternehmen die Köpfe darüber, mit welchem Medien-Mix sie die Mitarbeiter weiterhin erreichen. Eine Diskussion, die am Kern des Problems vor­beigeht: Wie können Unternehmen ihre interne Kommunikation modernisieren, müsste die Frage lauten. Und die Antwort darauf ist Sache des obersten Management. Denn Kommuni­kation ist die Achillesferse fast aller Organisationen – und inzwischen wohl die wichtigste Bremse für Erfolg und Produktivität.

Wer in deutschen Unternehmen herumkommt, spürt es an allen Ecken und Enden. Wenn der Pro­duktmanager zehn Seiten braucht und es damit immer noch nicht schafft, dem Management ver­ständlich darzulegen, welchen Mehrwert die weiterentwickelte Maschine dem Kunden bringt und inwiefern sie das Unternehmen am Markt voranbringen – dann verursacht das wirtschaftlichen Schaden. Leute, die das alles wissen müssten, werden die Sache nicht richtig oder verspätet oder nur mit unnötig hohem Aufwand begreifen. Mit dem miserablen Briefing-Papier arbeitet das Marke­ting, die Werbung, der Vertrieb und der Texter für die Unternehmensmedien, und alle tun sich schwer. Das erklärt auch, warum landauf landab von den nobelsten Adressen deutschen High-Tech-Branchen schrottige Pressepapiere verbreitet und miserable Fachartikel in die einschlägigen Zeitschriften lanciert werden.

Da ist es ein lobenswerter Versuch, die Texter immer mal wieder zum Textworkshop zu schicken. Nützen wird es nicht viel, denn die sind der deutschen Sprache mächtig und wissen recht gut, wo­rauf es ankommt und wie ein brauchbarer Text auszusehen hätte. Nur haben Sie nur schon lange aufgegeben, gegen den Strom zu schwimmen. Sie sind zermürbt von vergeblichen Versuchen, Technikern verständliche Erklärungen abzuringen, von den tagtäglichen Niederlagen, wenn in den Freigabeschleifen Fachleute und Chefs aus gutem Deutsch wieder Techniker-Jargon machen und erklärende Bilder, Vergleiche und Beispiele für überflüssig erklären. In die Textworkshops müssten die Produktmanager. Das eine oder andere Unternehmen hat diesen Schluss auch schon gezo­gen. In die Textworkshops müssten diejenigen, die über Texte befinden – aber das wäre ein Sakri­leg, Abteilungsleiter und noch höhere Manager lassen so etwas nicht mit sich machen.

Kommunikative Ignoranz des Managements

Die Führungsriege der Wirtschaft steht in erster Linie dem Fortschritt der Unternehmenskommu­nikation im Wege. Was die Topmanager in ihren Reden von sich geben, hat mit Klartext und Ver­ständlichkeit nichts zu tun, ihre Interviews werden in der Autorisierungsschleife meist so glatt ge­schliffen, dass der inhaltliche Reibungswiderstand gegen Null tendiert. Über Sprache und über die Grundlagen des Austauschs zwischen Menschen haben Manager in Ausbildung und Berufspraxis wenig bis nichts gelernt. Das wäre nicht schlimm, wäre Sie sich dieser Tatsache bewusst und leg­ten die nötige Bescheidenheit an den Tag. Tatsächlich begreifen die meisten aber nicht einmal, welche strategische Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg es hat, wie gut ein Unternehmen kommuniziert – nach innen wie nach außen.

Unternehmenskommunikation nach innen ist weit mehr als Mitarbeiterzeitung, Intranet, und das eine oder andere ergänzende Medium. 90 Prozent aller internen Kommunikation machen nicht die Kommunikationsspezialisten, sondern der Chef höchstselbst, seine Assistenten, die Abteilungslei­ter, Produktmanager, Qualitätsbeauftragte und und und – bis hin zum Meister und Vorarbeiter. Sie tun es mit Managementpapieren, Protokollen, E-Mails, mündlichen Anweisungen, Besprechungen und und und … die Verantwortlichen für die interne Kommunikation geht das nichts an, sie sollen sich um ihre Mitarbeiterzeitung kümmern. Und sie sind meistens froh, auf ihre medialen Zuständig­keiten beschränkt zu bleiben – der Job ist schwierig genug. 90 Prozent der Kommunikation machen Leute, die nicht wissen, was sie anrichten. Mehr als die Hälfte der Change-Projekte z. B. scheitern – nicht zuletzt an miserabler Kommunikation. Qualitäts- und andere Managementsysteme hängen in der Luft, weil den Leuten niemand jemals richtig er­klärt hat, warum das für sie und das Unternehmen gut ist. Der eine oder andere Artikel, den der Change-Manager und der QM-Beauftragte der Redaktion der Mitarbeiterzeitschrift in die Feder diktiert hat, wird es niemals richten. Erstens ist er nur so gut, wie der Stichwortgeber des Texters seiner Kommunikationsverantwortung gerecht wird – also meistens eher schwach. Zweitens und wichtiger: Gegen das, was in den Meetings, in den Teambesprechungen, Unterweisungen, Dienst­anweisungen, im E-Mail-Verkehr usw. kommuniziert wird, kommt das Medium ohnehin nicht an. Genauso wenig, wie die externe Kommunikation mit noch so wertvollen Druckwerken oder Image­broschüren gegen den Schaden ankommen, den diejenigen anrichten, die auf Beschwerdebriefe oder Anfragen antworten. Oder noch schlimmer: Die mit Kunden telefonieren.

Immerhin scheint die Einsicht im Schneckentempo zu wachsen. Prinzipiell sind Unternehmen lern­fähige Systeme, können sich Umweltveränderungen anpassen – wenn sie dazu gezwungen wer­den. Veränderungsdruck entsteht, wenn erprobte Vorgehensweisen offenbar nicht mehr zweckmä­ßig sind. An diesem Punkt sind wir längst, aber Einsicht ist bisher nur punktuell erkennbar. So schicken Unternehmen Mitarbeiter auch mal ins Telefontraining oder in Workshops „Wie schreibe ich eine gute E-Mail“ – aber extern, in der Kundenkommunikation, wo ein ROI erwartet wird. Um die Tonlage und kommunikative Qualität des E-Mail-Verkehrs im Inneren kümmert sich dagegen kaum jemand, obwohl schlecht-formulierte Botschaften Sand im Unternehmensgetriebe sein und ein schlechtes Unternehmensklima noch mieser machen können. Mir ist nur ein einziges Unternehmen bekannt, das Sprache und Kommunikation nach innen wie nach außen umfassend zum Thema eines regelrechten Change-Projektes gemacht hat – bezeich­nenderweise die Tochterfirma eines amerikanischen Unternehmens. Mit viel Mitteleinsatz und ex­terner Unterstützung versuchte die Unternehmensleitung, in Workshops sprachliche Standards verbindlich zu machen – in Richtung Verständlichkeit, Einfachheit, aber auch der gesamten Tona­lität. Dabei ging es letztlich um Werte – gegenseitiger Respekt, Wertschätzung, Hilfsbereitschaft und so weiter.

Hohe Korrelation mit wirtschaftlichem Erfolg

Bereits von einem Trend zu reden wäre kühn. „Die meisten Unternehmen unterschätzen immer noch, welche enorme Bedeutung die Qualität der Kommunikation im Unternehmen hat“, meint Dr. Jäger, Geschäftsführer der LVQ Business Akademie, die Qualitätsmanager ausbildet. Aber die Einsicht wachse, man sehe immer mehr, dass die interne Kommunikation verbessert werden müs­se, sagt er. Denn die ist nicht nur wichtig für funktionierende Prozesse, sondern ganz entscheidend für die Mitarbeiterzufriedenheit. Und diese wiederum ist einer der entscheidenden Schlüssel zum Unternehmenserfolg. Jäger untermauert dies mit Zahlen aus einer großangelegten Mitarbeiterbe­fragung, die das LQV im Rahmen des EU-Projekts Karla.net in Karosserie- und Lackierunterneh­men durchgeführt hat. Setzt man ihre Ergebnisse in Beziehung zum wirtschaftlichen Erfolg, sei die­se Korrelation ist sehr hoch. Das gute Mitarbeitergespräch, professionelle Ansprache und klare In­formationen schriftlich wie in den routinemäßigen Produktionsbesprechungen, in der Auftragskom­munikation usw. vermeidet Missverständnisse und Fehler. Darüber hinaus wirken sie auf die Moti­vation und die Stimmung.

Ein klares Thema für die Unternehmensführung. Die neue ISO 9001, die in diesem Jahr kommt, bringt da ein neues Verständnis: die Zuständigkeit der Geschäftsführung für alle erfolgsrelevanten Prozesse, also auch die Kommunikationsprozesse, wird eindeutig festgeschrieben. Man kann das weder auf einem QMB abwälzen, diese Funktion kennt die Neufassung des Standards gar nicht mehr, noch auf eine Medienabteilung. Der Zeitpunkt ist gekommen, die Diskussion über die strate­gische Bedeutung der internen Kommunikation und die Konsequenzen für die Unternehmensorga­nisation neu zu führen. Und dies auch auf dem Hintergrund, dass unter Schlagworten wie Industrie 4.0 oder Social Business die Frage im Raum steht, in welcher Weise neue Formen der Kommuni­kation auch die Hierarchien und Unternehmensstrukturen und die Formen der Zusammenarbeit im Unternehmen verändern können oder sollen oder müssen.

Aus dieser Diskussion sollten sich die Kommunikationsfachleute in den Unternehmen nicht heraus­halten, sondern ihre spezifische Verantwortung für sich reklamieren. Gute Kommunikation ist die zentrale Verantwortung der Geschäftsführung, es gibt ohne das keine erfolgreiche Unternehmens­führung. Aber die Verantwortlichen für Kommunikation sollten sich nicht darauf reduzieren, interne Dienstleister für Medienproduktion und Presseinformation zu sein. Das bleiben sie, aber wichtiger wäre die Aufgabe, unter der Verantwortung der Geschäftsführung Standards für gute Kommunika­tion zu setzen und als interne Audi­toren und Coaches an deren Qualität zu arbeiten. Mit der heuti­gen Ausstattung geht das nicht. Mehr Personal, mehr Etat – auch neue Qualifikationen werden notwendig sein. Das ist dann kein Thema mehr, wenn sich die Einsicht durchsetzt, wie strategisch wichtig für den Unternehmenserfolg die Qualität der Kommunikation wirklich ist.

Zielgruppenfragmentierung und neuer Medienmix

Erst auf diesem Hintergrund ist es dann wirklich sinnvoll, neben der personalen auch über die massenmediale Ansprache der Mitarbeiter nachzudenken, die ab einer bestimmten Unterneh­mensgröße natürlich unverzichtbar bleibt. Der vielbeschworene „neue Medien-Mix“ ist auf der Ba­sis der Sozialdaten der Belegschaft zu definieren, denn die Ungleichzeitigkeiten und Verwerfungen machen es praktisch unmöglich, heute Belegschaften noch als soziale Einheit anzusprechen. Dabei geht es nicht nur um die Veränderungen im Mediennutzungs-, Informations- und Kommuni­kationsverhalten und um eine junge Generation von Mitarbeitern, die nicht nur mit Computer und Internet aufgewachsen, sondern mit ihrem Smartphone verwachsen sind. Wir leben auch mit einer fortschreitenden Individualisierung, einer Verschiebung der Wertewelt. Die Gesellschaft und auch jede Belegschaft ist segmentierter denn je, und die Medien sind ein Spiegel dieser Vielfalt – zu der zu allem Überfluss eine wachsende ethnische und religiöse Vielfalt hinzutritt. Diese Welt existiert nicht mehr. Die Globalisierung hat die nationalen Grenzen durchlöchert, mit der Macht der Märkte die Staatsmacht zurückgedrängt und die Unternehmen, ja sogar die Arbeitnehmer den Bedingun­gen weltweiter Konkurrenzverhältnisse unterworfen. Die Digitalisierung führt dies zu Ende: Sie sprengt alle Fesseln von Datenaustausch, Information und Dialog. Sie verleihen dem Individuum einerseits mehr Autonomie und neue Möglichkeiten, sich einzubringen und zu inszenieren, auf der anderen Seite verursachen sie einen Verlust an informationeller Selbstbestimmung und Privatheit. Sie verlangen einerseits in der Wirtschaft nach anderen Formen der Zusammenarbeit und des Dia­logs, und stellen andererseits gewachsene Hierarchie und Strukturen in Frage. Immer verbreiteter ist einer kritischen Grundhaltung gegenüber medialen Informationen einerseits, ein fundamentale Unterhaltungsorientierung andererseits. Wie haben einen erheblichen Verlust an Glaubwürdigkeit generell der Medien, vor allem im Printbereich.

All das ergibt ein extrem komplexes Bild, das hier nicht weiter auszumalen ist. Für den betriebli­chen Medien-Mix heißt das: Die Macher sind in ähnlicher Verlegenheit wie die Zeitungsverleger. Was machen wir, wenn die Leute unser Produkt immer weniger kaufen und noch weniger lesen und ernst nehmen? Vor 20 Jahren galt noch: Mit einer gut gemachten Mitarbeiterzeitung macht man nicht viel falsch. Mittlerweile kann die Mitarbeiterzeitung alleeeenfalls noch als ein Standbein gelten, das aber alleine kaum trägt. Vor einigen Jahren ließ sich noch begründen, warum man mit dem Verzicht auf Social Media nicht viel falsch macht. Inzwischen macht wahrscheinlich eine Menge falsch, wer ganz auf digitale Kanäle verzichtet.

Für einen sinnvollen Medienmix gibt es weniger denn je Pauschalrezepte. Die soziologische Zu­sammensetzung der Belegschaft ist ebenso wichtig wie es Arbeitsbedingungen und Arbeitsweise des Unternehmens sind. Wer die Belegschaft nicht kennt, kann Sie keine Kommunikationspolitik und keine Medien entwickeln, die Identifikation mit dem Unternehmen und Verständnis für oder gar Einverständnis mit dem Handeln der Unternehmensführung fördern. Zielgruppenforschung muss sein. Wie in der externen Kommunikation sollten Entscheidungen für oder gegen bestimmte Me­dien oder Social-Media-Tool selbstverständlich auf deiner Zielgruppen-Demografie basieren. Im Unternehmen kann man sogar die Leute fragen, was sie persönlich bevorzugen und nutzen.

Das Ergebnis wird sein: Wir müssen, wenn wir der wachsenden Fragmentierung unserer internen Zielgruppen Rechnung tragen und eine ausreichende Reichweite erzielen wollen, unterschiedliche herkömmliche und digitale Plattformen bespielen. In vielen Unternehmen geht es heute durchaus ohne Mitarbeiterzeitung, auch wenn sich für sie noch eine beträchtliche potentielle Nutzergruppe findet. Die wird größer sein für ein buntes boulevardeskes Magazin mit Schwerpunkt Jubiläen, Mit­arbeiterfotos, Human-Touch-Geschichten und so weiter – und kleiner für eine Postille, die Informa­tion in den Mittelpunkt stellt. Als Instrument in Chance-Projekten oder in Krisensituationen werden beide von begrenztem Wert sein, da können sich die Macher abmühen, wie sie wollen.

Vieles spricht gegen die Mitarbeiterzeitung

Denn zum einen sinkt ganz generell die Reichweite von Printmedien, vor allem aber solcher, deren Lektüre Mühe macht, weil sie Information anstreben. Das ist auch eine Folge der wachsenden Un­terhaltungsorientierung der Menschen, die im Fernsehen um Information eher einen großen Bogen machen und Printmedium ebenso selektiv nutzen. Viel dramatischer noch wirkt sich aus, dass die meisten Menschen nicht mehr viel lesen wollen oder können, was nicht dadurch widerlegt wird, dass wenigen die Texte nicht lang genug sein können. Die Gründe reichen vom Zeitbudget für Mediennutzung bis hin zu veränderten Nutzungsgewohnheiten. In der jungen Generation geht es regelrecht um eine Kulturrevolution. Wir beobachten eine Verschiebung bei den grundlegenden Kulturtechniken – von der schriftlichen zur audioviduellen Kommunikation. Oder, wie Leseforscher seit Jahren diagnostizieren: Bei den heute 20jährigen haben wir einen Prozentsatz von nahezu 40 Prozent strukturellen Analphabeten, also Menschen, die Lesen und Schreiben für den Alltagsge­brauch zwar (mehr schlecht als recht) beherrschen, an längeren Texten mit womöglich komplexe­rem Inhalt aber scheitern.

Zum anderen haben es Mitarbeiterpostille besonders schwer, weil sie per se ein Glaubwürdigkeits­problem haben. Das haben sie um so mehr, je professioneller sie sich geben. Mit journalistischen Printmedien sind bestimmte kulturell bedingte Lesererwartungen verbunden. Boulevard und Yellow Press einmal ausklammert, werden an sie hohe Anforderungen hinsichtlich einer wahrheitsgemä­ßen und kritischen Berichterstattung gestellt. Aus dieser Falle gibt es kein Entrinnen, denn ein Un­ternehmensmedium kann nicht journalistisch agieren. Jeder Text unterliegt der Weisungshoheit von oben, alle möglichen Leute schreiben daran mit. Im Ergebnis ist der Widerspruch zwischen der beschriebenen und der erlebten Realität oft eklatant. Mitarbeiter dürfen gerne von sich erzählen, aber wo es problematisch wird, zählt die Perspektive der Unternehmensführung. Die Leute wissen, dass die langen Interviews mit dem höchsten Chef mangels echter kritischer Nachfrage eigentlich keine Interviews sind, sondern getarnte Statements. Und sie sehen, wo die Realität geschönt und die Probleme ausgeklammert sind. Das sehen sie mit Recht als Beleidigung ihrer Intelligenz an!

Besonders klug und hilfreich ist das alles nicht. Aber Unternehmen, wie sie heute sind, halten eine kritische unternehmensinterne Öffentlichkeit nicht aus, es zerreißt sie. Selbst wo die Unterneh­mensspitze so etwas will – gegen den Widerstand des mittleren Managements hält sie es nicht durch. Deshalb liegt darin eine große Chance, von der „journalistischen“ Print-Mitarbeiterpostille wegzukommen in Richtung audiovisueller Kommunikation. Das wäre nicht nur ein riesiger Schritt in Richtung auf die junge Generation, die nicht mehr in Handbuch nachliest, wie eine Software zu bedienen ist oder Soundbar und TV-Gerät zu verkabeln sind, sondern das entsprechende Video auf Youtube sucht. Und es auch findet! Man mag das feiern oder bedauern: Wir entwickeln uns in zu einer Gesellschaft, in der das gesprochene Wort und das Bild wieder einen extrem hohen Stel­lenwert hat – dem gilt es zu folgen. Nicht durch Unternehmensfernsehen (obwohl auch das inzwi­schen für große Unternehmen machbar und bezahlbar wäre), sondern durch die vielfältigen digita­len Verbreitungswege für Videos, Audios und Diashows.
Was oben über spezifische Nachteile des geschriebenen Wortes gesagt wurde, lässt sich an die­ser Stelle umkehren: Das geschriebene Wort lässt sich auf die Goldwaage legen – das Wort in Ra­dio, Film und Fernsehen ist flüchtig. Sich in ähnlich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen können wenige, das erfordert hohe Konzentration und Aufwand. Das gesprochene Wort kann mit den ural­ten Mitteln der Rhethorik Einfluss auf Hirn und Emotionen ausüben, um zu überzeugen – bis über die Grenzen der Manipulation hinaus. Wenn dann auch das bewegte Bild und die Macht der Musik und die visuelle Präsenz einer starken Persönlichkeit hinzukommen, können sich die Menschen der Wirkung solcher Botschaften nur schwer entziehen.

Audiovisuelle Kommunikation und personale Unternehmensführung

Wer Menschen führen will, zumal durch Krisen und tiefgreifende Veränderungen, sollte sich daran erinnern. Mehr audiovisuelles Agieren des Spitzenpersonals könnte viel von dem zurückbringen, was Unternehmen heute fehlt: Das Element der personalen Führung. Mehr als die Hälfte der Change-Projekte scheitern, nicht zuletzt an mangelhafter Kommunikation. Der Kernman­gel fast immer: Es gibt eher zu viel als zu wenig mediale Aufklärung und Motivation – aber zu we­nig Führung. In Krisen und Change-Prozessen zählt nicht nur, was und wie etwas gesagt wird, sondern auch, wer etwas sagt. Das Wort des Vorstandschefs wiegt mehr als das des Abteilungs­leiters, denn er hat die Macht, es durchzusetzen. In hierarchischen Strukturen überzeugt das mehr als noch so starke Sachargumente. Kollektive brauchen Leitwölfe, und deren wichtigstes Medium ist die Rede, die engagierte persönliche Stellungnahme, nicht das vom Blatt oder Telepromter gelesene Statement. Die erste Garde der Manager muss sich freilich damit neuen Anforderungen stellen: Wirkliche Spitzenfunktionen werden wie in der Politik davon abhängen, ob je­mand vor Kamera und Mikrofon eine gute Figur macht.

Es ist erstaunlich wie wenig die neuen Möglichkeiten genutzt werden. Die technische Plattform dafür ist in vielen Unternehmen schon vorhanden, vielfach gibt es z. B. Intranet-Magazine. Aber das sind oft auch nichts anderes als ins Netz transportierte Mitarbeiterzeitungen: inaktuell, statisch, textlastig und dialogfeindlich. Es sind Textmedien, die alle technologischen Möglichkeiten des Net­zes viel zu wenig nutzen. Es braucht einen großen Anteil an Bild, Video, Aktion und Dialog. Und selbstverständlich muss, wo immer möglich, die gesamte Palette der Social-Media-Kanäle helfen, die Themen offensiv zu verbreiten. Die gibt es schon oder wird es in den nächsten Jahren geben müssen, wenn die Visionen von Social Business, Industrie 2.0, 3.0 oder 4.0 wirklich werden sollen.

Diese Entwicklung kommt: Nicht so schnell, wie es IBM und andere Social-Media-Software-Anbie­ter gerne hätten, aber schnell, als die meisten Manager das glauben möchten. Denen wird es un­heimlich, weil die offenen Kommunikationsformen unweigerlich ein Stück Kontroll- und Machtver­lust bedeuten. Viele Mitarbeiter sperren sich, weil sie alles Neue und Ungewohnte erst einmal ab­lehnen, aber zum Teil aber auch in dem Wissen, dass offene Kommunikation in der hierarchischen Welt des Unternehmens Risiken hat. Man sitzt mit seinen Aussagen und Aktivitäten auf dem Prä­sentierteller und kann von Chefs abgestraft und von Kollegen gemobbt werden. Dennoch: Die neuen Chancen sind einfach zu groß, um sie ungenutzt zu lassen. Prinzipiell sind Unternehmen lernfähige Systeme, können sich Umweltveränderungen anpassen – wenn sie dazu gezwungen werden. Veränderungsdruck entsteht, wenn erprobte Vorgehensweisen und Strukturen offenbar nicht mehr zweckmäßig sind. Neue Kommunikationsplattformen werden akzeptiert sein, wenn sie helfen, Unternehmensziele besser zu erreichen – den Nachweis müssen sie aber erst einmal er­bringen.

Alle diese Tools lassen sich per Smartphone oder Tablet nutzen, stehen also rund um die Uhr überall zur Verfügung. Neue Softwarelösungen haben den Zugang zu Netzinhalten vereinfacht und sich als unentbehrlichen Assistenten im Alltag etabliert: Die Apps sind der Zugang zu Computer­programm in der Cloud ebenso wie zur digitalen Version der Lieblingszeitung, sie verbinden mit so­zialen Netzwerken, bieten U-Bahn-Pläne oder Restaurantführer. Mobilität ist derzeit der Megatrend für Wirtschaft und Gesellschaft. Eine brandaktuelle Zahl, die letzte Woche veröffentlicht wurde: 40 Prozent des Traffics im Newsbereich wird heute bereits über mobile Endgeräte abgerufen. Die Unternehmen hängen hier der Entwicklung hinterher, selbst solche, die einen großen Teil ihrer Mitarbeiter mit Smartphone und Tablets in die Welt hinaus schicken. Wenn z. B. die ING-DIBa ihre Mitarbeiterzeitschrift „intern” als App auf dem iPad an, ist das großer Schritt in die richtige Richtung. Aber nicht, weil die Mitarbeiter das ganze jetzt zuhause oder auf Dienstreise auf ihrem Mobilgerät konsumieren können. Die Angebote der Mitarbeiterzeitung werden digital aufbereitet und ergänzt. Über eine Feedbackfunktion können die Leser direkt eine Stellungnahme an die Redaktion absetzen – das steht für Dialogorientierung. Einige Themen sind durch begleitende Videos, Audios und Animationen ergänzt. Das alles wird zusammengebunden durch eine animierte Einstiegsseite, von der aus die Mitarbeiter alle Unterseiten entdecken.

Die Kommunikationsfachleute fremdeln noch

Dass dies noch so selten stattfindet, liegt wohl mit an der Ignoranz der Managementelite gegen­über Fragen der Kommunikationspolitik – aber nicht nur. Die meisten Kommunikationsfachleute kamen als Journalisten aus der traditionellen Welt der Printmedien oder lernten ihre Metier in einem der vielen PR-Ausbildungsgänge, für die das 21. Jahrhundert noch nicht wirklich begonnen hat. Sie fremdeln mit den technischen Anforderungen angeblich „neuer Medien“. Sie halten sich fest an ihre mit ungeheurem Aufwand drei-, vier- oder sechsmal im Jahre produzierten Hochglanz-Magazine, die sich gut als Arbeitsnachweis eignen und in der Chefetage auf Wohlgefallen stoßen, zumal nicht wirklich nachgefragt wird, ob sie in der Zielgruppe ankommen.

Sehr viel schwieriger ist die Frage zu klären: Wie schaffen wir dann, die Erkenntnisse umzusetzen – auf einer Klaviatur sehr unterschiedlicher Medien zu spielen? Wie lassen sich die neuen Heraus­forderungen mit tendenziell sogar immer knapperen Mitteln bewältigen? Ein Minimum an Ressour­cen muss verfügbar sein, der Einzelkämpfer mit auf Schrumpfen angelegtem Redaktionsetat steht auf verlorenem Posten. Auf der anderen Seite: Nicht immer leisten die besonders üppig ausgestatteten Kommunikationsabteilungen unbedingt die effizienteste Arbeit. Das Problem der Mittelknappheit ist teilweise auch ein Problem fragwürdiger Schwerpunktsetzungen und uneffi­zienter Prozesse. Die wenig sinnvolle Trennung zwischen interner und externen Kommunikation sollte zugunsten einer integrierten crossmedialen Gesamtredaktion aufgegeben werden, denn die Schnittmenge der Themen ist groß. Eine crossmediale Themenplanung mit Hilfe eines modernen Planungstools könnte alle anfallenden Themen über alle externen wie internen Publikationskanäle wie z.B. Zeitungen, Websites, Magazine, Radio oder Social Media-Kanäle hinweg erfassen. Doppel- und Mehrfacharbeit würde reduziert.

Das löst gewiss nicht alle Probleme, allenfalls ein Anfang. Der wichtigste Schritt wäre ohnehin, dass die Verantwortlichen für die Kommunikation im Unternehmen ein neues Verständnis für ihre Verantwortung und ihre Aufgaben entwickeln.

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