Ein
Nachruf auf die Tageszeitung,
wie wir sie liebten
Journalismus
stand wirtschaftlich noch nie auf eigenen Füßen. Er ist eben nicht
nur ein Phänomen der bürgerlichen Emanzipation, die in liberalen
und demokratischen Verhältnissen mündete. Untrennbar damit
verbunden ist die andere Seite der Medaille: das Geschäftsmodell
Tageszeitung. Und das verdankt sich der Entwicklung lokaler,
regionaler und nationaler Massenmärkte, in denen die werblichen
Zugänge der Produzenten zu ihren Kunden ein knappes und damit teures
Gut waren. Selbst bester Journalismus kann das nicht ins
Internet-Zeitalter herüber retten. Wenn hochwertiger Journalismus
für unsere Gesellschaft und wichtig bleibt, muss diese für eine
Finanzierungsgrundlage sorgen. Der Markt wird es nicht tun.
Es
muss auf einem Zeitungskongress in der ersten Hälfte des vergangenen
Jahrzehnts gewesen sein. Ich sehe den Kollegen noch vor mir –
seinen Namen habe ich vergessen. „Die Zeitung wird es immer geben,
weil man mit einem Computer auf der Terrasse keine Wespe totschlagen
kann.“ Der Beifall durfte tosend genannt werden. Kein Mensch wollte
sich ernsthaft auf den Gedanken einlassen, vom Internet könnten
Gefahren für die blühende Printmedienlandschaft ausgehen.
Jenseits
der Illusionen
Viele
Zeitungskongresse später liegt das Kind im Brunnen. Nach den ersten
spektakulären Zeitungspleiten sind die Angehörigen der Branche um
manche Illusion ärmer, was aber nicht reicher an nüchterner
Einschätzung der Realität. Verstanden haben die meisten, dass mit
dem Rennen um die exklusive Nachricht kein Blumentopf mehr zu
gewinnen ist – nicht einmal im Lokalen. „Vielleicht ist die
Zeitungskrise eher als Nachrichtenkrise zu sehen, die offline wie
online wirkt: das Ende statischer Berichterstattung“, treibt Sascha
Lobo den Gedanken auf die Spitze. Und es ist ja, auch wenn es als
Analyse nicht reicht, durchaus etwas dran: Wenn Barak Obama selber
twittert, er habe die Wahl gewonnen hat, sieht jedes
Nachrichtenmedium alt aus. Nachrichten als Prozess statt Nachrichten
vom Vortag – auch das will finanziert sein.
Um
zu wissen, wohin die Reise geht, ist es hilfreich, einen Blick zurück
zu werfen. Wo kommen die Tageszeitungen her? Bezeichnend für unser
der geschichtsblindes Zeitalter, dass niemand diese Frage stellt. Wo
es jetzt wieder hinzugehen scheint, hat einmal alles angefangen: Im
Zeitalter der Aufklärung bis weit in 19. Jahrhundert hinein war
Journalismus der brotlose Nebenerwerb von Amateuren. Die hätten
gerne auch ihr Auskommen damit gehabt, aber weil es Geld nur wenig
gab, nahmen sie gerne auch literarisches Renommé, politischen
Einfluss und öffentliche Aufmerksamkeit. Das Interesse an der
periodischen Presse war zunächst eine Sache des gehobenen
Bürgertums, der gebildeten Stände – zu denen sich später
allmählich aus die Elite des vierten Standes gesellten.
Presseprodukte
im Abonnement waren teuer. Und so gab es Ende des 18. Jahrhunderts in
den größeren Städten Lesegesellschaften, wohin sich interessierte
Bildungsbürger begaben, um sich über die Zeitläufte auf dem
Laufenden zu halten. Die Mainzer Lesegesellschaft bezog um 1790
stolze 24 politische Zeitungen, 23 gelehrte Blätter und 41 sonstige
Periodika.
Die
kommerzell-publizistische Mixtur Tageszeitung
Zum
Massenmedium wurde die Zeitung, als der Staat die Idee aufgab, die
Nachfrage von Industrie und Handel nach Werbemöglichkeiten per
Anzeigenmonopol für die häufig staatlichen lokalen Anzeigeblätter
(„Intelligenzblätter“) in seine Kassen zu lenken. An deren
Stelle treten die Generalanzeiger-Zeitungen, allen voran der
1845 in Leipzig erschienene „General-Anzeiger für Deutschland“,
die Anzeigenerlöse wurden zur Haupteinnahmequelle. Weil gerade auch
Papierpreise und Druckkosten sanken, wurden die Blätter oft
kostenlos oder gegen ein kleines Zustellgeld abgegeben. Denn je
größer Verbreitung und Reichweite, desto zahlreicher wurden die
Inserenten. Genau deshalb präsentierte man sich auch als
überparteilich und politisch neutral, als „Lokalanzeiger“ mit
ausführlicher örtlicher Berichterstattung, lokalen Anzeigen und
immer mehr unterhaltenden Elemente wie Fortsetzungsroman und
Erzählungen.
Die
übrigen Presse aber lernte schnell. Auch die Verbands- und
Parteizeitungen, die politischen Kampfblätter kamen in den Genuss
des rasch wachsenden Werbemarktes. Bald verzichtete kaum ein
Periodikum noch auf die Einnahmequelle
Anzeigen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland schon rund
3500 Zeitungen.
Einen weiteren Schub brachte Anfang des 20. Jahrhunderts der Erfolg
der neuen Boulevardpresse. Die elektronischen Medien Radio und später
das Fernsehen beeinträchtigten die Reichweiten der Printmedien nicht
– brachten sie doch nur knapp bemessene und darum teure Werberäume
und kaum publizistische Konkurrenz.
Wie
viel Anteil hat der professionelle Journalismus am Erfolg der
Tageszeitungen? Schwer zu sagen, realistisch gesehen dürfte der
Beitrag begrenzt gewesen sein. Journalismus war bald mehr, bald
weniger wichtiger Teil der Mischung, die das Modell Tageszeitung
ausmachte. Die Leser haben nie die Gestehungskosten für
journalistische Inhalte gezahlt. Wofür sie einige Groschen
hinzulegen geneigt waren, war die informativ-unterhaltsame Mixtur aus
Anzeigen, Nachrichten aus der großen weiten Welt, Lokalberichten,
bunten Lesegeschichten, behördlichen Mitteilungen und und und. Und
der Nutzwert des Papiers zum Einwickeln, Fensterputzen und
Ofenanzünden kam noch obendrauf.
Rezepte
gibt es nicht
Deshalb
ist einleuchtend, dass der Journalismus, ob als Qualitäts- oder als
Entertainmentjournalismus, das Geschäftsmodell Tageszeitung nicht
retten kann, wenn die restlichen Anteile der Mischung wegfallen oder
an Attraktivität verlieren. Die Idee, dass eine ausreichende Zahl
von Menschen überzeugt werden könnte, für die Oberheadkosten von
Qualitätsjournalismus zu zahlen, ist recht weltfremd. Die wenigsten
Leser sind in der Lage, sorgfältige journalistische Arbeit von gutem
PR-Handwerk zu unterscheiden. Information und Unterhaltung sind kein
knappes Gut mehr, sondern ein Tsunami, der die Aufnahmekapazität der
meisten Menschen hoffnungslos überfordert.
Und
deshalb sind die menschlich verständlichen Forderungen der um ihre
Zukunftshoffnungen betrogenen Journalisten und ihrer
Verbandsvertreter fernab jeder Wirklichkeit. Sie verlangen von den
Verlegern, zu investieren und unternehmerisch kreativ zu sein, um
„die Zeitung“ als Synonym für qualitativ hochwertigen
Journalismus zu retten – ob in gedruckt der digitaler Form. Die
Verleger haben keine Rezepte, heißt es anklagend. Richtig, nur die
Journalisten auch nicht. Weil es sie nicht gibt. Weil ein ähnlich
zugkräftiger Content-Mix, wie es neudeutsch heißt, online nicht zu
reproduzieren und deshalb im Netz ein Zubrot, aber kein voller Ersatz
für das Anzeigeneinkommen besserer Printzeiten zu erzielen ist.
Schon deshalb, weil das Online-Werbeaufkommen sich auf eine ständig
wachsende Zahl von Internetkanälen aufteilt.
Die
Zukunft des Journalismus
Was
wird also aus der Tageszeitung als Gattung? Es wird sie wohl,
finanziert über steigende Copy- und App-Preise als Luxusmedium für
die Älteren, die Gebildeten und die Wohlhabenden noch eine Weile
geben. Die Frage ist, wie lang noch vom Massenmedium Zeitung
gesprochen werden kann. Am längsten wohl noch bei dem einen oder
anderen überregionalen Blatt. Nicht mehr allzu lange im Lokalen,
obwohl sich dort eine ganze Reihe von Redaktionen mit
bewundertswerter Kreativität und großer Entschlossenheit gegen die
Entwicklung stemmen. Die Overheadkosten und Profiansprüche ihrer
Unternehmen lassen ihnen kaum eine Chance. Es sieht danach aus, dass
der generelle Trend in Richtung billig produzierter, PR-dominierten
Lokalmedien geht, in denen für teure Journalismus kaum mehr Platz
ist. Die andere Seite dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass
Freiräume für neue Online-Lokalmedien entstehen – und für
Journalisten, die Leidenschaft und nicht Gewinnstreben in diesen
Beruf treibt.
Das
wird aber für eine moderne Massengesellschaft nicht reichen. Wie ist
unter diesen Bedingungen massenwirksamer hochwertiger Journalismus in
der Breite noch möglich? Diese Frage lässt sich vielleicht in
einigen Jahren ernsthaft diskutieren – dann wenn die letzten
Selbsttäuschungen und Illusion in der Branche dahin sind, die
Verleger aufgehört haben, ihr Privateigentum an Medien zur
Voraussetzung von Demokratie und Freiheit zu erklären und die
Politik wirklich begriffen hat, dass sie ohne das aufklärerische
Potential eines professionellen, freiheitlichen Grundwerten
verpflichteten Journalismus den letzten Rest an Glaubwürdigkeit
verliert.
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