Freitag, 22. November 2013

Ein Nachruf auf die Tageszeitung, wie wir sie liebten
Journalismus stand wirtschaftlich noch nie auf eigenen Füßen. Er ist eben nicht nur ein Phänomen der bürgerlichen Emanzipation, die in liberalen und demokratischen Verhältnissen mündete. Untrennbar damit verbunden ist die andere Seite der Medaille: das Geschäftsmodell Tageszeitung. Und das verdankt sich der Entwicklung lokaler, regionaler und nationaler Massenmärkte, in denen die werblichen Zugänge der Produzenten zu ihren Kunden ein knappes und damit teures Gut waren. Selbst bester Journalismus kann das nicht ins Internet-Zeitalter herüber retten. Wenn hochwertiger Journalismus für unsere Gesellschaft und wichtig bleibt, muss diese für eine Finanzierungsgrundlage sorgen. Der Markt wird es nicht tun.
Es muss auf einem Zeitungskongress in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts gewesen sein. Ich sehe den Kollegen noch vor mir – seinen Namen habe ich vergessen. „Die Zeitung wird es immer geben, weil man mit einem Computer auf der Terrasse keine Wespe totschlagen kann.“ Der Beifall durfte tosend genannt werden. Kein Mensch wollte sich ernsthaft auf den Gedanken einlassen, vom Internet könnten Gefahren für die blühende Printmedienlandschaft ausgehen.
Jenseits der Illusionen
Viele Zeitungskongresse später liegt das Kind im Brunnen. Nach den ersten spektakulären Zeitungspleiten sind die Angehörigen der Branche um manche Illusion ärmer, was aber nicht reicher an nüchterner Einschätzung der Realität. Verstanden haben die meisten, dass mit dem Rennen um die exklusive Nachricht kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist – nicht einmal im Lokalen. „Vielleicht ist die Zeitungskrise eher als Nachrichtenkrise zu sehen, die offline wie online wirkt: das Ende statischer Berichterstattung“, treibt Sascha Lobo den Gedanken auf die Spitze. Und es ist ja, auch wenn es als Analyse nicht reicht, durchaus etwas dran: Wenn Barak Obama selber twittert, er habe die Wahl gewonnen hat, sieht jedes Nachrichtenmedium alt aus. Nachrichten als Prozess statt Nachrichten vom Vortag – auch das will finanziert sein.
Um zu wissen, wohin die Reise geht, ist es hilfreich, einen Blick zurück zu werfen. Wo kommen die Tageszeitungen her? Bezeichnend für unser der geschichtsblindes Zeitalter, dass niemand diese Frage stellt. Wo es jetzt wieder hinzugehen scheint, hat einmal alles angefangen: Im Zeitalter der Aufklärung bis weit in 19. Jahrhundert hinein war Journalismus der brotlose Nebenerwerb von Amateuren. Die hätten gerne auch ihr Auskommen damit gehabt, aber weil es Geld nur wenig gab, nahmen sie gerne auch literarisches Renommé, politischen Einfluss und öffentliche Aufmerksamkeit. Das Interesse an der periodischen Presse war zunächst eine Sache des gehobenen Bürgertums, der gebildeten Stände – zu denen sich später allmählich aus die Elite des vierten Standes gesellten.
Presseprodukte im Abonnement waren teuer. Und so gab es Ende des 18. Jahrhunderts in den größeren Städten Lesegesellschaften, wohin sich interessierte Bildungsbürger begaben, um sich über die Zeitläufte auf dem Laufenden zu halten. Die Mainzer Lesegesellschaft bezog um 1790 stolze 24 politische Zeitungen, 23 gelehrte Blätter und 41 sonstige Periodika.
Die kommerzell-publizistische Mixtur Tageszeitung
Zum Massenmedium wurde die Zeitung, als der Staat die Idee aufgab, die Nachfrage von Industrie und Handel nach Werbemöglichkeiten per Anzeigenmonopol für die häufig staatlichen lokalen Anzeigeblätter („Intelligenzblätter“) in seine Kassen zu lenken. An deren Stelle treten die Generalanzeiger-Zeitungen, allen voran der 1845 in Leipzig erschienene „General-Anzeiger für Deutschland“, die Anzeigenerlöse wurden zur Haupteinnahmequelle. Weil gerade auch Papierpreise und Druckkosten sanken, wurden die Blätter oft kostenlos oder gegen ein kleines Zustellgeld abgegeben. Denn je größer Verbreitung und Reichweite, desto zahlreicher wurden die Inserenten. Genau deshalb präsentierte man sich auch als überparteilich und politisch neutral, als „Lokalanzeiger“ mit ausführlicher örtlicher Berichterstattung, lokalen Anzeigen und immer mehr unterhaltenden Elemente wie Fortsetzungsroman und Erzählungen.
Die übrigen Presse aber lernte schnell. Auch die Verbands- und Parteizeitungen, die politischen Kampfblätter kamen in den Genuss des rasch wachsenden Werbemarktes. Bald verzichtete kaum ein Periodikum noch auf die Einnahmequelle Anzeigen. Ende des 19. Jahrhunderts gab es in Deutschland schon rund 3500 Zeitungen. Einen weiteren Schub brachte Anfang des 20. Jahrhunderts der Erfolg der neuen Boulevardpresse. Die elektronischen Medien Radio und später das Fernsehen beeinträchtigten die Reichweiten der Printmedien nicht – brachten sie doch nur knapp bemessene und darum teure Werberäume und kaum publizistische Konkurrenz.
Wie viel Anteil hat der professionelle Journalismus am Erfolg der Tageszeitungen? Schwer zu sagen, realistisch gesehen dürfte der Beitrag begrenzt gewesen sein. Journalismus war bald mehr, bald weniger wichtiger Teil der Mischung, die das Modell Tageszeitung ausmachte. Die Leser haben nie die Gestehungskosten für journalistische Inhalte gezahlt. Wofür sie einige Groschen hinzulegen geneigt waren, war die informativ-unterhaltsame Mixtur aus Anzeigen, Nachrichten aus der großen weiten Welt, Lokalberichten, bunten Lesegeschichten, behördlichen Mitteilungen und und und. Und der Nutzwert des Papiers zum Einwickeln, Fensterputzen und Ofenanzünden kam noch obendrauf.
Rezepte gibt es nicht
Deshalb ist einleuchtend, dass der Journalismus, ob als Qualitäts- oder als Entertainmentjournalismus, das Geschäftsmodell Tageszeitung nicht retten kann, wenn die restlichen Anteile der Mischung wegfallen oder an Attraktivität verlieren. Die Idee, dass eine ausreichende Zahl von Menschen überzeugt werden könnte, für die Oberheadkosten von Qualitätsjournalismus zu zahlen, ist recht weltfremd. Die wenigsten Leser sind in der Lage, sorgfältige journalistische Arbeit von gutem PR-Handwerk zu unterscheiden. Information und Unterhaltung sind kein knappes Gut mehr, sondern ein Tsunami, der die Aufnahmekapazität der meisten Menschen hoffnungslos überfordert.
Und deshalb sind die menschlich verständlichen Forderungen der um ihre Zukunftshoffnungen betrogenen Journalisten und ihrer Verbandsvertreter fernab jeder Wirklichkeit. Sie verlangen von den Verlegern, zu investieren und unternehmerisch kreativ zu sein, um „die Zeitung“ als Synonym für qualitativ hochwertigen Journalismus zu retten – ob in gedruckt der digitaler Form. Die Verleger haben keine Rezepte, heißt es anklagend. Richtig, nur die Journalisten auch nicht. Weil es sie nicht gibt. Weil ein ähnlich zugkräftiger Content-Mix, wie es neudeutsch heißt, online nicht zu reproduzieren und deshalb im Netz ein Zubrot, aber kein voller Ersatz für das Anzeigeneinkommen besserer Printzeiten zu erzielen ist. Schon deshalb, weil das Online-Werbeaufkommen sich auf eine ständig wachsende Zahl von Internetkanälen aufteilt.
Die Zukunft des Journalismus
Was wird also aus der Tageszeitung als Gattung? Es wird sie wohl, finanziert über steigende Copy- und App-Preise als Luxusmedium für die Älteren, die Gebildeten und die Wohlhabenden noch eine Weile geben. Die Frage ist, wie lang noch vom Massenmedium Zeitung gesprochen werden kann. Am längsten wohl noch bei dem einen oder anderen überregionalen Blatt. Nicht mehr allzu lange im Lokalen, obwohl sich dort eine ganze Reihe von Redaktionen mit bewundertswerter Kreativität und großer Entschlossenheit gegen die Entwicklung stemmen. Die Overheadkosten und Profiansprüche ihrer Unternehmen lassen ihnen kaum eine Chance. Es sieht danach aus, dass der generelle Trend in Richtung billig produzierter, PR-dominierten Lokalmedien geht, in denen für teure Journalismus kaum mehr Platz ist. Die andere Seite dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass Freiräume für neue Online-Lokalmedien entstehen – und für Journalisten, die Leidenschaft und nicht Gewinnstreben in diesen Beruf treibt.
Das wird aber für eine moderne Massengesellschaft nicht reichen. Wie ist unter diesen Bedingungen massenwirksamer hochwertiger Journalismus in der Breite noch möglich? Diese Frage lässt sich vielleicht in einigen Jahren ernsthaft diskutieren – dann wenn die letzten Selbsttäuschungen und Illusion in der Branche dahin sind, die Verleger aufgehört haben, ihr Privateigentum an Medien zur Voraussetzung von Demokratie und Freiheit zu erklären und die Politik wirklich begriffen hat, dass sie ohne das aufklärerische Potential eines professionellen, freiheitlichen Grundwerten verpflichteten Journalismus den letzten Rest an Glaubwürdigkeit verliert.



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